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Zimmer 52 / Fritz Ostermayer
DIE VERNUNFT DER UNGEHEUER GEBIERT SCHLAF
oder Der Diskurs als freundschaftliche Erzählkunst in Zimmer Nr. 52

Zwei Tage lang: Reden um wach zu bleiben. Reden bis zum Umfallen. Anreden gegen den Schlaf. Am Ende aber vielleicht doch Schlafreden, Reden im Schlaf, denn der Körper wird als erster aufgeben, während das Hirn dem Maul noch ein wenig Ausreden gönnt. Keine Drogen, aber eine gut gefüllte Minibar. Kein Essen außer Snacks. Der Fernseher wird gleich nach dem Einchecken via Hotelfenster Fenster entsorgt werden müssen. Alte Rocker-Tradition - gehört sich einfach so. Auf das Verstopfen der Toilette mit Leintüchern wird in Erwartung von Gästen verzichtet - gehört sich einfach nicht.

Und immer wieder Goya auf den Kopf stellen: Der Schlaf der Ungeheuer gebiert Vernunft? Da wäre ich mir nicht so sicher. Die Vernunft der Ungeheuer gebiert Schlaf? Schon eher. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer? Da sind wir schon weiter. Oder doch noch immer nicht? Aber wofür hat man Gäste, wenn nicht zum gescheiter werden. Oder betrunkener.

Gegen den Schlaf ankämpfen auch mit 500 Karteikärtchen, schön aleatorisch verteilt auf die vier Zimmerwände. Auf jedem eine Option zum Handeln, Einschreiten, Austreten, Weitermachen. Denkspiele. Sexspiele. Glücksspiele. Unglücksspiele.

Und warum nicht auch eine Seance mit dem weltgrößten Sleeptalker Dion McGregor (1922-1994). Der redete sich im Schlaf um Kopf und Kragen, sang aber zwischendurch auch spontan komponierte Songs mit allem, was dazu gehört: Strophen, Refrains und einem schlafwandlerisch gehandhabten Reimzwang. Zum Glück ließ sein Freund und Zimmergenosse Michael Barr allnächtlich ein Tonband mitlaufen ...

Hoffentlich im Wachzustand reden werden mit mir: eine sehr bekannte Musikerin, ein bekannter Musiker, ein angesehener Schriftsteller und Philosoph, eine junge Autorin, eine berühmte Schauspielerin, ein nicht minder berühmter Humorist, ein Schlafforscher, eine Anästhesistin, ein mir sehr lieber Kollege undundund.

Für Gäste, die die ganze Nacht bleiben, gibt’s freilich Pyjamas.