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the very last | die
Performance
Performancereihe
2. bis 5. Juli 2012 (>>
Programm / Reservierung)
Donaupromenade / Station Handelskai (>>
Lageplan / Anfahrt)
Wie über den Suizid sprechen? Alleine die verschiedenen Begrifflichkeiten
des Suizids in der deutschen Sprache verdeutlichen die gegensätzlichen
Ansätze: der „Selbstmord“ (Martin Luther) setzt ihn in Verbindung
mit Mord, der „Freitod“ (Friedrich Nietzsche) bezieht eine freie
Entscheidung mit ein. Die Geschichte des Verhältnisses zwischen Gesellschaft
und der Selbsttötung spiegelt die Schwierigkeit dieser Frage wider, geprägt
ist sie von Mythen und Religion. Wissenschaft und Medizin vermögen es
nicht, individuelle Aspekte der einzelnen Suizide zu erfassen. Literatur und
Philosophie gelangen mit der Fragestellung an Ihre Grenzen. Geben die letzten
Worte derjenigen, die den Tod selbst gewählt haben, eine mögliche
Antwort?
It’s better to burn out than to fade away. Kurt Cobains letzte Worte in seinem Abschiedsbrief (nach Neil Young)
Aus dieser Frage kristallisieren sich vier unterschiedliche Perspektiven der
Rede über den Suizid heraus: die historisch gesellschaftliche, die wissenschaftlich
methodische, die philosophisch ästhetische und die persönliche.
In vier thematisch bestimmten Modulen wird In „the very last“
je eine der Perspektiven eingenommen und Fragen zum Suizid formuliert, mit
Texten, Körpern und Musik. Eine Arbeit an den Grenzen der Darstellung.
Der Körper des Selbstmörders, wenn er entweder sogleich todt geblieben, oder ohne bezeigte Reue gestorben, ist durch den Schinder (Abdecker, Anm.) einzuscharren. Hat er zwischen der That, und dem erfolgten Tod Reue gezeigt, so ist dem Körper nur die ordentliche Grabstätte zu versagen, und er ohne all Begeleitung, und Gepräng einzugraben Gesetzestext von 1787
Modul #2 In der Gegenwart bestimmen zwei wissenschaftliche
Richtungen den Diskurs: die Sozialwissenschaft und die Medizin. Seit rund
hundert Jahren erforschen sie den Suizid empirisch, wobei die „Suizidologie“
sich vor allem mit der Suizidprävention beschäftigt. 1897 erschien
Émile Durkheims „Le suicide“, in dem der Suizid erstmals
soziologisch untersucht wurde. Beginn einer eigenen Suizidforschung war 1948
in Wien die Gründung des weltweit ersten Zentrums für Suizidprävention
durch Erwin Ringel. Die individuelle Geschichte und der Beweggrund, sich selbst
das Leben zu nehmen, werden in der Betrachtungsweise als statistische Zahl
oder als Krankheitsbild, das medizinisch behandelt werden muss, zu wenig berücksichtigt.
Modul #3 Die Auseinandersetzung mit dem Suizid in Philosophie
und Kunst machen auf andere Weise betroffen als die in der empirischen Wissenschaft.
Der einzelne Mensch und sein Tun werden darin nicht in einer „Typologie“
von vornherein neutralisiert. Die Befremdlichkeit oder die Vertrautheit dieses
Tuns führt zu einer existenziellen Erschrockenheit, die anders berührt
als der empirische Diskurs. Die Frage der Fremdheit des Daseins, die Frage
nach dem Sinn des Lebens, die Frage nach dem Selbstentwurf des einzelnen Daseins
stehen zur Disposition. Warum ist der einzelne Mensch nicht in der Lage, aus
sich selbst eine Bejahung des Daseins zu schöpfen?
Modul #4 Was bleibt am Ende? Was bleibt, jenseits von Rede,
Darstellung und Handlung? Abschiedsbriefe geben einen kleinen Einblick in
die persönliche Geschichte derjenigen, die ich selbst zu töten.
Der Abschiedsbrief, die letzte manifeste Aussage des Suizidanten, die oft
formal – durch Syntax, Tonlage, Charakteristik – so vielsagend
ist wie durch ihr Bezeichnen, Appellieren, Anklagen, verdichten. Überall,
wo in der Nähe des Todes geredet wird, entsteht der Eindruck der Unterschlagung
und zugleich der größten Wahrhaftigkeit. „Nicht Worte. Eine
Geste. Ich werde nicht mehr schreiben.“ So endet Cesare Paveses Tagebuch
„Handwerk des Lebens“, bevor er sich in einem Turiner Hotel selbst
tötet. (Roger Willemsen in „Der Slbstmord“)
Am Eröffnungstag, Montag, 2. Juli 2012, werden die vier Einzelmodule in Wiederholung als durchgängig begehbare, performative Installationen gezeigt.
the very last| die Performance
Am Dienstag, 3. Juli 2012, und Mittwoch, 4. Juli 2012, werden die vier Module zu the very last| die Performance zusammengefasst, an jedem der beiden Tage in einer anderen Konstellation (Performance #1 und #2). Die PerformerInnen sind Caroline Decker, Peter Stamer, Barbara Spitz und Yosi Wanunu. Sie werden live von Musikern begleitet: Andreas Hamza (Module # 1), Boris Kopeinig (Module # 2) und Sir Tralala (Module # 4).
PerformerInnen und Musiker agieren im „Schaufenster“, einem temporären Theaterraum, der auf der Donaupromenade gegenüber der Station Handelskai in Wien Brigittenau errichtet wurde (>> Lageplan/Anfahrt). Er ist durch ein großflächiges Fenster bestimmt, das sich über eine Seite des Raumes erstreckt. Das Publikum verfolgt im Hintergrund der Spielfläche das Geschehen außerhalb des Raumes mit. Alltag und Darstellung verschmelzen in der Performance.
Die Performance dauert eine Stunde. Sie ist auf Englisch und Deutsch.